Lucy beginnt ein Praktikum bei der mobilen Krankenpflege. Dabei kommt sie mit der Pflegerin Catherine in die mächtige, aber verfallene Villa der ehemaligen Ballettlehrerin Madame Jessel, die hier im Koma liegt. Angeblich hat die reiche Frau, deren einzige Tochter schon lange tot ist, im Haus einen Schatz versteckt.
Lucy lässt sich von ihrem Freund William überreden, nachts in das Haus einzubrechen. Gemeinsam mit ihrem Bekannten Ben wollen sie den Schatz finden und ein neues Leben beginnen, doch ihnen steht die schlimmste Nacht ihres Lebens bevor, denn das Haus birgt ein schreckliches Geheimnis…
Alexandre Bustillo und Julien Maury hatten 2007 mit dem ultraharten „Inside“ die französische Variante des „Torture Porn“ zu ihrem Höhepunkt geführt. Danach einfach ein weiteres derartiges Werk zu drehen wäre nicht schlau gewesen, im Genre ist man mit „Livid“ aber doch geblieben und liefert einen wunderbaren Geister-/Spukhausfilm ab, der aber viel mehr bietet, als nur die Klischees zu erfüllen. Dabei kommt vor allem bis die drei Jugendlichen in das Haus eindringen die typische Atmosphäre französischer Filmkunst zum Vorschein und deutet nur wenig an, in welche Richtung es gehen könnte. Danach steigert sich die Spannung, wenn die Drei durch das Haus schleichen. Die Atmosphäre ist einfach wunderbar gruselig und lebt dadurch, dass immer weiter herausgezögert wird, bis tatsächlich etwas passiert. In den letzten zwanzig Minuten löst sich „Livid“ dann aber vom Spukhaus-Horror und wird zu einem surrealen, poetischen, aber auch ziemlich blutigen Film. Hier wird auf Realismus keinerlei Wert mehr gelegt. Die Schockszenen fügen sich da genial in die Bilderflut ein, bestens zu erkennen bei der ersten Todesszene. Dass die beiden Regisseure ganz offensichtlich große Fans von Dario Argento sind, kann man die ganze Zeit überdeutlich erkennen und so wird sogar seinem Meisterwerk „Suspiria“ Tribut gezollt, wenn Lucy entdeckt, dass Madame Jessel früher an einer Tanzakademie in Freiburg war. Man könnte sogar fast sagen, „Livid“ wäre ein konsequenterer Abschluss der „Drei Mütter-Trilogie“ gewesen als Argentos eigener „La Terza Madre“. Ein größeres Lob kann man den Machern wohl kaum aussprechen, auch wenn man natürlich nicht an den Meister herankommt. Gerade bei den Szenen im Garten und an den Klippen über dem Meer findet man auch einiges von der Poesie eines Jean Rollin. Sicher haben auch moderne japanische Horrorfilme wie „Ring“ einen gewissen Einfluss gehabt.
Neben der Atmosphäre begeistert besonders die Optik, die zum einen sehr nüchterne, farblose Bilder liefert, aber auch wahnsinnig detailreiche Kulissen im Haus. Dem Kameramann sind dabei viele wirklich sehr beeindruckende Aufnahmen gelungen, vor allem auch, was den Verfall des Hauses angeht. Auch die Masken- und Bluteffekte sind sehr gelungen, wobei sicher vor allem bei den Masken eine gewisse Künstlichkeit gewollt ist.
Etwas weniger überzeugend ist die Auswahl der Darsteller. Chloe Coulloud als „Lucy“ ist dabei ganz klar der Höhepunkt. Die junge Französin wirkt sehr natürlich und irgendwie spröde, was perfekt zu der Rolle passt. Catherine Jacob als Krankenpflegerin überzeugt ebenfalls (und hat in ihrer Rolle ein überraschendes Geheimnis, das für eine schön verstörende Szene sorgt). Marie-Claude Pietragalla als komatöse Ballettlehrerin ist ebenfalls eine sichere Bank. Chloe Marcq hätte als Anna sicher etwas mehr in die Rolle reinbringen können. Eher blass bleibt Jeremy Kapone als „Ben“ und Felix Moati als William hat den undankbarsten Part als „William“, weil sich seine Figur überwiegend unrealistisch und naiv verhält. Zwei kleine Cameo-Auftritte hat schließlich noch die göttliche Beatrice Dalle, die bei „Inside“ ja brillant in der Hauptrolle war. Aber abgesehen von Chloe Coulloud ist keine wirkliche Offenbarung in der Besetzung dabei.
Das kann den wirklich fantastischen Film aber nicht kaputt machen. „Livid“ ist wirklich spannendes Horrorkino, wobei die Geschichte nicht so vorhersehbar ist, wie man zunächst annimmt. So ziemlich der gruseligste Film, den ich seit sehr langer Zeit gesehen habe und der gespannt auf den weiteren Weg der Regisseure macht. Die Mischung aus französischem Filmdrama, Geisterfilm und surreal-poetischem Splatter macht „Livid“ hoffentlich schnell zu einem Klassiker des Genres.
Die deutsche Blu Ray ist bei Sunfilm erschienen und bietet als Cover das wirklich tolle Original-Plakatmotiv. Neben der normalen Fassung, gibt es auch eine (wahrscheinlich konvertierte) 3D-Fassung. Ob diese sehenswert ist, kann ich nicht beurteilen, da mir nur die 2D-Fassung vorliegt.
Bild- und Tonqualität sind sehr gut, wobei man zwischen französischer Originalfassung und deutscher Synchro wählen kann. Dazu gibt es wahlweise deutsprachige Untertitel. Als Bonus gibt es nur zwei Trailer zum Film, was doch etwas traurig ist, da man hier gerne mehr über die Produktion erfahren hätte. Sicher kommt irgendwann noch eine „Special Edition“ nach. (A.P.)
|