Es ist wahrhaftig ein zeitloses Werk, Shakespeares theatralische Aufbereitung des erschütterndsten Liebesdramas, das die Welt je erlebt hat. Zweifellos verkörpert die Hauptfigur Romeo - was schon allein sein Name nahelegt - einen perfekten Prototyp des Romantikers. Er ist der zarte junge Denker, Philosoph und Visionär, der zu seinem Unglück in eine falsche Welt hineingeboren wurde. Eine Welt, die ihn und seine Gefühle auf brutalste Weise verachtet, sodass er am Ende nur durch seinen spektakulären selbst gewählten Tod die Befreiung seiner Seele finden kann.
Angesichts der Tatsache, dass eigentlich gar kein wirkliches Original des Werks von Shakespeare existiert und sämtliche heute im Umlauf befindlichen Textversionen, insbesondere die abenteuerlichen Übersetzungen in andere Sprachen einschließlich ins moderne Englisch, mehr oder weniger mutierte Nacherzählungen und Neudichtungen sind, läßt sich der Stoff sehr wohl auch in der äußerlichen Stilistik des Jahres 1996 interpretieren.
Baz Luhrmanns gewagte Verfilmung ist eine Inszenierung in zeitgemäßer Bühnenkulisse. Er projiziert die Handlung auf eine Großstadt der Gegenwart, in der die zwei zerstrittenen Familienclans im Bandenkrieg ihre Pferde gegen Straßenkreuzer und ihre Schwerter gegen Designerknarren eintauschen, und in dem der historische Maskenball zum Tuntenball mit Techno Musik mutiert und Romeo sogar ein LSD-Trip angehängt wird. Ein Bilderrausch aus Realität und Übertreibung, der durch die in der Originalversform gehaltenen Dialoge permanent komisch wirkt. Zwei völlig verschiedene Welten prallen durch diese extreme Kulisse aufeinander, und damit schreibt Luhrmanns Inszenierung die von Shakespeare entworfenen Analogien fort und erweitert sie noch. Die Gegensätzlichkeit zwischen der poetischen Sprachform und der trashigen Kulisse offenbart den Konflikt zwischen Romeo und der ihm so feindlich gesonnenen Gesellschaft.
Für den Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio ist die Rolle des Romeo eine jener für ihn schon typischen Rollen: Der 22jährige sensationell talentierte Nachwuchsschauspieler spielte einen Drogenabhängigen in "The Basketball Diaries", und in "Total Eclipse" spielte er den zeitlebens unverstandenen avantgardistischen Dichter Arthur Rimbaud in seiner schwulen Beziehung zu Paul Verlaine. Er lehnte lukrative Angebote für platte Actionfilme ab, um seinem Anspruch der künstlerischen Darstellung gesellschaftlicher Außenseitercharaktere treu zu bleiben.
Luhrmann beschert uns mit Leonardo DiCaprio schließlich auch den definitiv hübschesten Romeo, den die Welt je erlebt hat. Der Zuschauer muß sich einfach gleich beim ersten Blick in ihn verlieben und erfährt so den grundlegenden Gegenstand des Stücks, nämlich Liebe auf den ersten Blick, mit Leib und Seele mit. Es entsteht eine beinahe schon interaktive Beziehung zwischen Publikum und Leinwand. Luhrmann geizt nicht mit Portraitszenen, in denen sich der ergreifende Charme von Leonardo DiCaprios Schönheit und seiner göttlichen Ausstrahlung wie Amors Pfeil in die Herzen der Zuschauer bohrt. Da bleibt kein Auge trocken, wenn der arme gequälte Romeo in seinem Leid versinkt. Eigenhändig möchte man den Schurken Tybalt niederstrecken, blind vor Liebeszorn wird man selbst zur Bestie und teilt Romeos affektierte Wut.
Am Ende gar, als Romeo ahnungslos über seiner scheintoten Julia trauert, möchte man am liebsten vom Kinosessel auf und in die Leinwand hineinspringen, um das drohende unabweichliche Schicksal aufzuhalten. Warum sieht er nicht, wie sie ihre Augen öffnet?! Ein "Nein, tu's nicht" Schrei entfährt dem Munde des Zuschauers, doch Romeo hört es nicht! Er trinkt das Gift - er spricht noch - ein letzter Hoffnungsschimmer, mit dem man wünscht, der Apotheker möge ihn doch betrogen und ihm Wasser statt Gift verkauft haben. Doch dann senkt sich sein Kopf, seine wunderbaren blauen Augen erstarren, der süßliche Odem des Todes streicht über seine weichen Wangen. Das Unbegreifliche ist geschehen. Warum mußte er sterben? In Tränen aufgelöst kauert der Zuschauer wie ein Häufchen Elend in seinem Sessel und schrickt auf, als das Licht angeht. Das ist so gemein!
Nur langsam weicht der Schmerz der Einsicht, dass erst der Tod die beiden befreit und ihre Liebe möglich und unbesiegbar und ewig gemacht hat. Sie haben ihre Liebe mit in den Tod genommen, und einem Toten kann man nichts mehr wegnehmen. So ist dies die gerechte Schmach, die sie ihren Familien als Strafe für das zugefügte Leid angedeihen lassen. So werden die egoistischen Ignoranten bestraft, während Romeo und Julia im Tod ihre Erlösung finden.
Eine Romantisierung des Todes durch den festen Glauben daran, dass er nicht das Ende, sondern überhaupt erst das Tor zum Leben ist. Doch Shakespeare macht dem vermeintlichen esoterischen Happy End, getrieben durch seine ekelhafte christliche Moral, einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Er kippt den glücklichen Ausgang, indem er Romeo und Julia nicht gemeinsam sterben läßt. Beide müssen getrennt für sich allein sterben, ein jeder im Angesicht des Todes des anderen. So sucht Shakespeare den Abgang der gemeinsamen Liebe durch einen gemeinsamen Tod zu vereiteln. Er läßt die beiden einzeln in den Tod gehen und behält ihre gemeinsame Liebe so im Diesseits. Diese Arroganz ist der eigentliche Skandal an diesem Literaturwerk, womit sich Shakespeare als Apostel der bürgerlichen Gesellschaft entlarvt. Doch weit weniger wäre gewonnen, wenn das Stück zur Gänze im Sinne des Protagonisten ausgegangen wäre. Dann nämlich stünde das Ende nicht mehr als Mahnmal dafür, dass die bürgerliche Gesellschaft doch der wahre Verlierer bleibt, weil sie im Unrecht ist. Romeo ist ein Held der unsterblichen Liebe - Leonardo DiCaprio ist ein perfekter Romeo. (Gino Sandberg)
Die Familen Montague und die Capulets sind schon seit Ewigkeiten verfeindet. Als die Capulets einen Kostümball geben, schleicht sich der junge Romeo Montague dazu und lernt Julia kennen. Die beiden verlieben sich sofort, wissen aber auch, dass ihre Liebe niemals bekannt werden darf. Als es doch herauskommt, wird Romeo ins Exil geschickt und Julia hat eine rettende Idee: Sie nimmt ein Gift ein, welches sie für viele Stunden tot erscheinen läßt. Vorher läßt sie Romeo eine Nachricht zukommen, in der sie ihm dieses erklärt, damit er sie holen kann. Leider bekommt Romeo die Nachricht und als er von Julia´s Tod hört, besorgt er sich ebenfalls Gift, damit sie sich im Tode vereinen können...
Alte Geschichte, schon fünfhundert Mal verfilmt, doch dieses Mal ist es etwas besonderes. Die Story spielt in unserer Zeit und alles ist pulpmäßig wie in einen Tarantino-Film aufgemacht. Brutal, grell und irre sind die Bilder, im Kontrast dazu sind die Dialoge wieder an Shakespeare angelehnt, was einer gewissen Eingewöhnungsphase bedarf. Hat man die aber überstanden, kann man sich an dem Film, ganz besonders aber an der Ausstattung und den Kulissen erfreuen. Endlich mal wieder etwas besonderes und abgefahrenes in der heutigen Filmgeschichte. (Haiko Herden)
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