Charlotte Roches zweiter Roman ist keine Fortsetzung von“FEUCHTGEBIETE“. Im Grunde ist es ein großes Psychogramm, das keine Geschichte erzählt, sondern eher eine Momentaufnahme. Protagonistin Elizabeth hat, um es chronologisch zu erzählen, unter ihrer Mutter zu leiden gehabt. Dann mit ihrem Ehemann Georg das Glück gefunden und am Tag ihrer Hochzeit eine Katastrophe erlebt. Diese sollte in England stattfinden und auf dem Weg dorthin hatte das Auto mit ihrer Mutter und ihren Brüdern einen Unfall, bei dem nur die Mutter schwerverletzt überlebte. Dieses Trauma hat sie gezeichnet, weswegen sie seit mehreren Jahren in psychiatrischer Behandlung ist. Erzählt wird rund eine Woche ihres Lebens, in der sie sich geistig darauf vorbereitet, mit ihrem Ehemann eine Prostituierte zu besuchen und parallel die Besuche bei ihrer Psychiaterin abzuschließen. Dazwischen gibt es jede Menge Rückblicke auf frühere Zeiten mit dem Fokus auf den Unfall und die Tage darauf. Dabei kommen alle ihre Defizite zur Sprache, ihre Brustfixierung, weil sie sich wegen ihrer geringen Oberweite minderwertig vorkommt, ihre ständige Vorbereitung auf ihr Ableben, ihre Schuldgefühle, weil sie glaubt, dass ihre Brüder ohne sie noch leben würden. Es ist kein hoffnungsloses Buch, im Gegenteil, es zeigt, dass man selbst dass das Leben auf mit einem großen Schaden noch funktionieren kann, dass man im Zweifelsfall lieber einmal mehr zur Psychotherapie geht als zu wenig und dass man in anderen Menschen nicht immer nur das Schlechteste sehen sollte, sondern einfach mal darauf vertrauen sollte, dass man nicht immer die Kontrolle haben muss. Damit ist „SCHOSSGEBIETE“ keine Betroffenheitsliteratur, aber auch nicht der typische Sei-du-selbst-und-kämpfe-Quark, die man ihn oft in deutschen Filmen und Büchern vorgesetzt bekommt. Elizabeth hat Probleme, sie weiß das, sie tut was dagegen, kann aber nur bedingt über ihren Schatten springen. Sie hat schwere Schicksalsschläge erlitten, sie lebt weiter, steht wieder auf, wenn auch nicht mehr aus aufrecht wie sonst. Die Grenzen zwischen dem Leben der Protagonistin und er Autorin sind dabei fließend, man weiß nicht, wie viel Roche in Elizabeth steckt. Das macht das Ganze umso intensiver. Tragik und Komik liegen hier nicht nur eng beieinander, sie sind eins. Erschütternd und unterhaltsam zugleich, das muss man erst einmal können. Das macht „SCHOSSGEBETE“ zu einem besseren Buch als den hauptsächlich auf Provokation aufgebauten „FEUCHTGEBIETE“. (Haiko Herden)
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